Rezension: Juli im Winter

Wieder ein einfühlsames Meisterwerk von Al Kahnau.

In diesem Buch geht es um Mobbing und deren Folgen. Um Juli, die ihre Schwester verloren hat, da diese mit den Folgen von Mobbing nicht mehr umgehen konnte, und sich in der Badewanne das Leben nahm. Und es geht um die Familie und deren Leben, nach diesem Schicksalsschlag. Wie kann es weiter gehen und was macht dies mit einem?

Das Thema Mobbing wird in diesem Buch super aufgegriffen. Es wird umfangreich beschrieben und ich hatte echt zu kämpfen. Nicht nur weil ich selbst unter Mobbing litt, sondern auch wegen der Gefühlswelt, in der Juli sich befindet.

„Obwohl wir fast ununterbrochen von Freunden und Familie betreut wurden, konnten sie uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine atmende Seele weniger im Haus existierte.“

Mit so einem Schicksalsschlag muss man erst mal fertig werden. Meistens hilft ein Ortswechsel und genau diesen hatte Juli, als sie auf das Internat wechselte. Sie hatte sich wohlgefühlt, eine beste Freundin, war hilfsbereit und beliebt. Sie setzte sich für schwächere ein und hatte gute Noten. Alles, was man sich wünscht.
Als dann aber Nessa an die Schule wechselt und ehemaliges Mobbingopfer war, nimmt Juli sie an die Hand und bereitet ihr einen guten Start. Sie nimmt sie im Freundeskreis auf, hilft ihr einen Platz zu finden und wird dadurch selbst zu ihrem Opfer - Nessa mobbt sie. Sie will ihr alles nehmen, aus Hass an deren Beliebtheit.

„Ab wann ist man Opfer und wann Täter?“

Ein schmaler Grat. Ist es gerechtfertigt sich stark zu fühlen, indem man selbst mobbt? In die andere Rolle zu schlüpfen, nur um sich dadurch stark und anerkannt zu fühlen?
Und genau hier beginnt die eigentliche Geschichte. Juli wird in die Welt ihrer Schwester gezogen. Alte Erinnerungen kommen hoch, das Bild, welches sie nie vergessen wird und ihr Vorsatz: Stärker zu sein und ihre Eltern nie wieder in diese Situation zu bringen, gerät in Gefahr.

AL Kahnau nimmt den Leser mit in Julis Innere. Man erlebt ihren Kampf mit sich selbst, erlebt die Flashbacks – ihre Zerrissenheit. Sie geht ihrem Zwang nach, vom Laufen, kämpft gegen den Bruch ihrer Freundschaft an und erliegt dem Mobbing, dem sie ausgeliefert wird.
Irgendwann glaubt man dem.
Irgendwann ist man für sich selbst ein Schauspieler.
Und genau dann gibt man sich selbst auf.

Die Autorin zeigt, wie es sich anfühlt gemobbt zu werden. Was es mit einem macht und, in diesem Buch sogar, darüber hinaus, indem Wunden aufgerissen werden und alles versucht, um zu schützen und damit allein fertig zu werden. Zu kämpfen, für sich, die tote Schwester und für die Familie.

Mich hat dieses Buch gefesselt und wieder gezeigt, was AL Kahnau mit ihren Worten transportieren kann. Sie ist eine Magierin der Worte und Empfindungen. Sie lässt einen den Protagonisten sein und in deren Rolle schlüpfen. Sie webt in einem förmlich die Gefühle und lässt Wege suchen, die einen aus dieser Situation bringen könnten.
Mit ihren Büchern spricht sie Themen an, die nicht oft in Büchern zu finden sind und selbst wenn, würden sie sich abheben, da sie das Talent besitzt, die richtigen Worte zu finden. Sie umschreibt nicht, sie verschönt nicht, sondern sie bringt es  gefühlvoll auf den Punkt.


Dieses Buch bekommt 5 von 5 Lilien